„Deutsche Nutzer sind einfach anders“: Tipps & Tricks – Fallstricke und Flops im Social Web

Gepostet von | September 1, 2013 | Jobtipps

Sebastian Geißler arbeitet als Social Media Experte bei der Agentur webguerillas. Wir haben ihn per E-Mail befragt, was sich hinter seinem Job als Head of Social Concept steckt und was er Social Media Junkies zum Berufseinstieg rät.

sebastianWas kann man sich unter deinem Job vorstellen und wie bist du an ihn gekommen?
Bei den webguerillas gibt es in der Social Media-Abteilung vier Teams, die verschiedene Schwerpunkte abbilden: Research, Concept, Editorial und Word-of-Mouth. Im Concept-Bereich sind wir im Grunde für die Infrastruktur von Social-Media-Aktivitäten von Unternehmen und Konzernen verantwortlich. Wir kennen uns mit Social Media Plattformen, Tools, Apps und Trends im Social Web aus, wissen, auf welcher Plattformen Unternehmen wie sinnvoll aktiv werden können und sind dafür zuständig, diese Plattformen und Tools sinnvoll zu vernetzen.
Neben immer noch starker Einbindung im operativen Geschäft, bin ich natürlich auch für die Weiterentwicklung meines Teams zuständig, für die Qualitätssicherung und weitere klassische Führungsaufgaben.
In den Job als Head of Social Concept bin ich reingewachsen: Ich habe nach meinen Studium direkt als „normaler“ Social Media Editor angefangen. Meine Stärken lagen und liegen allerdings weniger in der Community-Betreuung als in der strategisch-konzeptionellen Stufe davor, woraus sich mein Weg ins Concept-Team ergab.

Wie sieht dein typischer Arbeitsalltag im Social Web aus?
Ich denke, dass jeder, der als Berufsfeld die sozialen Medien auserkoren hat, sich auch relativ schnell davon verabschiedet, „typische“ Arbeitstage zu haben. Da im Concept-Bereich keine Community-Betreuung stattfindet, sind die Arbeitszeiten allerdings recht geregelt: Ich beginne meinen Arbeitstag meist gegen 8.30 Uhr und versuche, alle Aufgaben bis 18.30 Uhr effektiv abzuarbeiten. Natürlich kommt es im Agenturalltag vor, dass man auch mal ein bisschen länger bleiben muss; kurzfristige, dringende Projekte sind gerade im Umfeld des schnelllebigen Social Web keine Überraschung.
Mein typischer Arbeitstag beginnt mit Lektüre. Ich lese nach, was im Social Web über Nacht so passiert ist: Gibt es neue Plattformen, die wir im Auge behalten müssen? Hat Facebook Funktionen eingeführt oder deaktiviert? Gibt es neue Trends im Netz? Bei allen Fragen steht im Fokus: Welchen Einfluss haben die Neuigkeiten auf die Social-Media-Aktivitäten unserer Kunden und welche Implikationen ergeben sich vielleicht für zukünftige Kunden oder Projekte? Diese Recherche findet aber im Grunde nicht nur morgens, sondern immer dann statt, wenn man nicht gerade aktiv an beauftragten Kundenprojekten arbeitet.
Den Hauptteil der Arbeit nimmt dann die Anwendung dieses Wissens für konkrete Projekte und Kampagnen in Anspruch. Wir entwickeln Ideen, auf welchen Plattformen bestimmte Kampagnen Sinn ergeben, wo wir wie und in welchem Rahmen aktiv werden: Wollen wir vielleicht ein Gewinnspiel umsetzen, eine Feedback-Applikation für ein neues Produkt, ein Spiel, das besondere Produktfeatures unterstreichen soll? Doch auch grundsätzlichen Fragen gehen wir für Kunden nach: Wie implementiert man die Idee von Social Media in einem Unternehmen, sodass sich auch alle Mitarbeiter informiert und gewappnet fühlen, sich beteiligen und keine Scheu vor „Fehlern“ haben?
Diese Arbeit spiegelt sich dann in zahlreichen Meetings, im Schreiben von Ideenpräsentationen und Konzepten und Gestalten von Wireframes wieder. Jeder Kollege betreut zwischen vier und sechs Kunden; sie sind es dann auch, die ihre Konzepte dem Kunden vorstellen dürfen und erklären müssen.

Welche Herausforderungen sind besonders interessant, welche besonders schwierig?
Es gibt unzählige „Social-Media-Experten“, die häufig entweder alles loben oder verfluchen. Es gibt stets sofort unzählige Statistiken, Zahlen, Infografiken und Meinungen zu neuen Plattformen, Apps oder Facebook-Funktionen, die das „neue große Ding“ sein sollen. Das ist auf der einen Seite schön, weil es Diskussionsgrundlagen bietet, Meinungsaustausch fördert und im Idealfall neues Wissen schafft.
Aber – und das ist die Kehrseite der Medaille – es wird auch viel Aufhebens gemacht, mit Zahlen um sich geworfen und in wiederkehrenden Zyklen das Ende des Internets, wie wir es kannten, heraufbeschworen. Am Beispiel des letztjährigen Pinterest-Hypes lässt sich das sehr plakativ nachvollziehen: Das Netzwerk wird erst über alle Maßen gelobt, es werden beeindruckende Zahlen aus den USA präsentiert (die allerdings nur wenig Relevanz für Deutschland hatten) und viele Unternehmen sind plötzlich ganz fokussiert auf das Netzwerk, mit dem man scheinbar ohne viel Aufwand seinen Shop-Umsatz steigern kann. Am Ende blieb Ernüchterung: Deutschlands User sind einfach anders.
Hier von Beginn an den Kunden optimal zu beraten, sich gewissenhaft für oder gegen die Sinnhaftigkeit von Maßnahmen in einem bestimmten Umfeld oder auf einer speziellen Plattform zu entscheiden, verlangt die Übernahme von Verantwortung. Auch dies fällt in meinen Aufgabenbereich.

Welcher Ausbildungshintergrund, welche Qualifikationen sind für deinen Beruf wichtig?
Wir sind bei den webguerillas ein bunt gemischter Haufen mit den unterschiedlichsten persönlichen Hintergründen und daraus resultierenden Qualifikationen. Man kann also nicht etwa sagen, dass ein Studium per se eine Grundvoraussetzung ist. Es gibt in der Branche noch immer viel Platz für Quereinsteiger.
Allerdings wird in meinem Team ein gehöriges Maß an Fachwissen vorausgesetzt, z.B. ein grundsätzliches Verständnis für Programmierung, technische Hintergründen, APIs, Wireframes und User Experience, aber vor allem auch eine Menge Kreativität. Natürlich schadet es nicht, wenn man sich bereits von Haus aus auf vielen verschiedenen Netzwerken zuhause fühlt.

Auf welche Soft Skills kommt es an?
Ganz wichtig ist eine ausgeprägte analytische Kompetenz und große Neugierde. Das Social-Media-Umfeld ändert sich ständig; man steht daher immer wieder vor Herausforderungen, die schnell gelöst werden müssen.
Aus der Erfahrung heraus ist auch eine sehr hohe Selbstdisziplin nötig, da jeder Kollege eigenverantwortlich für seine Kunden agiert. Struktur und eine organisierte Arbeitsweise sind unerlässlich. Alle haben ein hohes Arbeitspensum und auch wenn wir im Team arbeiten, muss man sich auf jeden Einzelnen verlassen können. Trittbrettfahren wäre hier tödlich. Teamfähigkeit ist also auch eine absolute Grundeigenschaft, die ich voraussetze.

Wie wird mit dem Thema Work-Life-Balance an Ihrem Arbeitsplatz umgegangen?
Es gibt eine Ressourcen-Managerin, die sich darum kümmert, die anfallende Arbeit effektiv zu verteilen. So wird versucht, den häufig diskutierten Nacht- und Wochenendarbeitszeiten entgegenzuwirken. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir ein hohes Arbeitspensum haben. Es kommt immer mal wieder zu Situationen, wo Engagement auch außerhalb der klassischen Kernarbeitszeiten nötig ist; dies wird dann aber auch angemessen kompensiert.
Deswegen wird natürlich auch für Erholung und Zerstreuung gesorgt: vom obligatorischen Kickertisch, über die Playstation, mehrmals wöchentlich Lunch von unseren beiden Agentur-Köchinnen bis hin zu gemeinsamen Agentur-Ausflügen. Zudem gibt es auch eine betriebliche Gesundheitsförderung und Altersvorsorge.
In der Agentur wird außerdem viel Wert darauf gelegt, dass der Umgang menschlich bleibt, sollte also ein Problem auftauchen, etwa im familiären Umfeld, darf man sicher sein, dass sich dafür auch kurzfristig eine Lösung finden wird.

Wie bildest du dich beruflich weiter?
Zunächst einmal selbständig über das Internet, aber auch über Bücher – denn das gedruckte Wort hat qualitativ noch ein ums andere Mal die Nase vorn. Außerdem geht’s regelmäßig auf Messen, Workshops oder andere Social-Media-Veranstaltungen – wo sich gelegentlich durchaus kreative, inspirierende Ansätze finden lassen.
Zusätzlich haben wir Agentur-intern auch ein Weiterbildungsprogramm initiiert, in dem regelmäßig interne und externe Referenten interessante Themen präsentieren. Wichtig bei der Weiterbildung: Es geht nicht nur um Social Media! Wer nicht über den Tellerrand hinausschaut, schränkt sich künstlich ein.

Wie wird sich dein Job vielleicht in der Zukunft verändern?
Die Herausforderung liegt in Zukunft darin, Social Media nicht als Selbstzweck zu sehen, sondern als Bereicherung und Erweiterung von Bestehenden Kanälen. Dazu muss man sich auch stark mit dem „Bestehenden“ auseinandersetzen, auch wenn es z.B. die Totgesagte Print-Branche oder andere „alte“ Technologien betrifft. Denn eins hat Social Media mit den anderen Technologien gemein: Um wirklich interessant zu bleiben, müssen Unternehmen und Kunden einen Nutzen davon haben. Nicht ohne Grund wird z.B. Social TV oder das Thema „klassischer Journalismus vs. Social Media“ so intensiv diskutiert.
Es wird in Zukunft für Unternehmen schwerer werden, User im Social Web zu erreichen, wenn man sich nicht nach ihnen richtet und ihnen keinen echten Mehrwert bietet. Das heißt, dass simple Werbebotschaften im News Feed der Nutzer zukünftig entweder gar nicht mehr angezeigt oder aktiv ignorieren werden, indem diese in kleinere flüchtige Micronetzwerke wie z.B. WhatsApp oder Path verschwinden. Um Relevant zu bleiben, wird den Unternehmen tatsächlich nichts anders übrig bleiben, transparenter, offener und kommunikativer zu werden – und da können Agenturen wie wir dann helfen.

Was rätst du Social Media-Nachwuchs für den erfolgreichen Berufseinstieg?
Macht euch bewusst, dass Social Media per se kein Beruf ist. Das Berufsfeld Social Media ist eher wie eine pulsierende Metropole: groß, laut, unübersichtlich, faszinierend, manchmal dreckig, arrogant, egozentrisch und ständig im Wandel. Um die Übersicht nicht zu verlieren, sucht euch am besten euren Kiez, euren Job, den ihr innerhalb dieses Kosmos erfüllen wollt. Seid euch aber bewusst, dass dieser Job sehr schnell verschwinden kann. Sorgt also dafür, dass ihr breit aufgestellt seid und nicht zu sehr auf ein Netzwerk, auf eine Tätigkeit, auf einen Kunden ausgerichtet seid. Und bleibt immer flexibel und neugierig.

Danke für das Gespräch.

Mehr Interviews mit Social Media Experten gibt es in unserem Buch “Berufsziel Social Media“, u.a. Gespräche mit Katharina Borchert (Geschäftsführerin Spiegel Online), Tobias Arns (Social-Media-Experte des Internet-Branchenverbands BITKOM), Eva Maria Goldmann (Community Managerin, Monster.com), Mirko Kaminski (Gründer und Chef der Kommunikationsagentur achtung!), Mirko Lange (Geschäftsführer der Agentur talkabout und Social Media Experte) und vielen mehr.

Tags: ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert